Susanne Husse: Mind the gap

Die Bestandteile der Wirklichkeit erscheinen in Petra Lottjes Werk wie Variablen im Koordinatensystem des Menschlichen. Ähnlich einer Chemikerin, die Elemente aus ihren Verbindungen löst, um sie auf ihre Eigenschaften zu untersuchen, seziert die Künstlerin den Korpus des Alltags. Das Video dient hierbei als subjektiver Experimentierkasten, um sich mit Fragen nach der Beschaffenheit von Kommunikation, dem Entstehen von Bedeutung, der Wirkung von Bildern und dem Gegensatz von Individualität und Allgemeinplätzen zu beschäftigen.
Sprache bildet in zahlreichen Videos Petra Lottjes den Ansatzpunkt der Auseinandersetzung. In „Episoden“ (2009), „Loope“ (2009), „Time is the killer“ (2008) und „O.T.“ kombiniert sie Tonsequenzen aus unterschiedlichen Spielfilmen, verleiht ihnen körperlichen Ausdruck und versetzt sie in neue Zusammenhänge. Durch den reduzierten, jedoch keineswegs neutralen mimischen Ausdruck ihrer Figuren schafft es die Künstlerin eine Distanz herzustellen zwischen der emphatischen Sprache aus den Filmen und ihren vermeintlichen Urhebern. Mit subtiler Ironie kommt Petra Lottje so den teilweise ambiguen Äußerungen und grottesken Situationen im Ringen um Verständigung auf die Spur. Indem sich die Protagonisten das ganze Spektrum oft gegensätzlicher Stimmen einverleiben, die das Kino zu den großen Themen wie Liebe oder Identität hergibt, werden sie zu Sinnbildern allgemeinmenschlicher Empfindungen aber auch medienkonditionierter (Selbst-)Wahrnehmung. Heute ist jeder Protagonist seines eigenen Films, doch wie eigen ist dieser Film wirklich? Und wie sehr sind wir selbst Medien kollektiver Stereotypen?
In den Werken Petra Lottjes finden wir keine Antworten, dort geht es um das Dazwischen. Sie offenbaren den vielleicht unausdrückbaren Rest zwischenmenschlicher Kommunikation. Um diesem näher zu kommen bedient sich die Künstlerin der Methode von Isolation und displacement der einzelnen Werkkomponenten – Sprache, Bild und körperlichem Ausdruck, um das Eigentliche aus ihnen herauszulösen. Sie führt diesen Prozess bis hin zu dem Punkt, an dem bei der Rekomposition der Bestandteile die Lücke, die Inkongruenz zwischen zwei Elementen bleibt. Hier entsteht der Raum der Unmöglichkeit von Ausdruck oder des Scheiterns von Verständigung. Dieser Raum beschreibt jedoch kein schwarzes Loch, er hat vielmehr das Potential zum neuerlichen Ausgangspunkt von Verständigung zu werden. Denn hier entfaltet sich der Ort und der Moment im Kosmos des Betrachters für seine eigene, einzigartige Wahrnehmung.
© Susanne Husse, Februar 2010